Ein Ort für angestaute Emotionen
Sozialprojekt Seit September gibt es in Pforzen die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung Biberburg
VON JESSICA GSELL
Pforzen „Now I´m sick of this waitin’, so come on and take your shot!“ („Mich macht dieses Warten krank, deshalb komm und nimm den Kampf auf!“) steht in großen schwarzen Buchstaben über dem Bett der 15-jährigen Tamara (Namen von der Redaktion geändert). Eine Passage aus dem Lied „Me against the world“ von Simple Plan. Und gleichzeitig ein Einblick ins Innere des jungen Mädchens. „Früher hatte ich Probleme mit anderen Menschen. Es war für mich nie ganz leicht, anderen zu vertrauen“, erzählt Tamara. Über den Grund für dieses Misstrauen schweigt sie. „Hier ist es ganz anders. Hier sind nette Menschen, die einem helfen“, meint Tamara und lächelt. Hier, damit meint die 15-Jährige die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung Biberburg in Pforzen. Seit September ist das Wohnheim, das idyllisch in einem Auwald neben der Wertach liegt, in Betrieb.
Christiane Hermann, ihres Zeichens Ärztin, hat zusammen mit ihrem Lebensgefährten Martin Thoma, einem Erlebnispädagogen, das Anwesen gekauft. Fast zwei Jahre lang haben die beiden die Gebäude komplett renoviert. „Mit eigenen Mitteln und Herzblut“, wie Thoma betont. Rund eine Million Euro habe das Paar bislang in das Projekt gesteckt. Die heilpädagogisch-therapeutische Kinder-und Jugendhilfeeinrichtung kann in drei Wohngruppen insgesamt 23 Heranwachsende von sechs bis 17 Jahren aufnehmen. Sie haben je ein eigenes Zimmer sowie einen gemeinsamen Aufenthaltsraum. „Momentan haben wir zwölf Kinder und Jugendliche bei uns“, berichtet Einrichtungsleiter Peter Siffl.
Die Überforderung der Eltern wegen Arbeitslosigkeit oder psychischer Erkrankungen; Verhaltensauffälligkeiten aufseiten der Kinder wegen Missbrauch oder beeinträchtigter Persönlichkeitsentwicklung – so unterschiedlich ihre Geschichten sind, eines haben die jungen Menschen, die in die Biberburg kommen, gemeinsamen: Die Beziehung zwischen Eltern und Kind funktioniert nicht richtig, sodass die Heranwachsenden Sozialdefizite aufweisen. Diese sollen in der Einrichtung abgebaut werden. „Die Kinder haben viele angestaute Emotionen, mit denen sie nicht umgehen können“, erklärt Hermann, „deshalb brauchen wir viel Geduld, Mitgefühl und Intuition gepaart mit Professionalität.“ Keinen Platz in der Biberburg haben unter anderem junge Menschen mit psychischen Störungen oder einem Suchtproblem. Hierfür fehle das nötige Fachpersonal. Für Christiane Herman, selbst Mutter zweier bereits erwachsener Kinder, ist die Einrichtung eine Herzensangelegenheit: „Ich hatte eine privilegierte Kindheit. So etwas ist nicht selbstverständlich. Deshalb möchte ich ein bisschen was an die Gesellschaft zurückgeben.“
Die Kinder und Jugendlichen werden über die Jugendämter an die Biberburg vermittelt. Voraussetzungen sind eine entsprechende Schule sowie die Familien in der Nähe, für Besuche am Wochenende und in den Ferien. Oberstes Ziel sei es nämlich stets, die jungen Menschen so bald wie möglich wieder in ihre Familien zu entlassen, erklärt Siffl. Außerdem wird bei einem Vorstellungsgespräch zunächst geklärt, ob der junge Mensch überhaupt in der Einrichtung bleiben will. Der erste Eindruck von Max war eigentlich eindeutig: „Hier will ich nicht sein.“ Doch nach zwei Wochen sieht es der 17-Jährige etwas anders: „Daheim stresste immer die Familie, hier hab ich das nicht.“ Der Jugendliche meint dabei seine Mutter, mit der er nicht klarkommt.
Was Max, wie auch der Mehrzahl der anderen Heranwachsenden, fremd ist, ist ein geregelter Tagesrhythmus. Hier in der Biberburg werden drei Mahlzeiten gemeinsam eingenommen, es geht zur Schule, Hausaufgaben werden gemacht und am Nachmittag gibt es ein vielfältiges Freizeitprogramm. Vor allem hier sei es schön zu sehen, wie die jungen Menschen „sich gegenseitig erziehen und gut tun“, sagt Thoma, und wie sie immer mehr an Selbstsicherheit und Selbstvertrauen im Umgang miteinander gewinnen. Damit das Konzept der Biberburg gelingt, sind fünf hauptamtliche Pädagogen 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr, im Einsatz.
Artikel aus der Allgäuer Zeitung als PDF zum Download:
Mit freundlicher Genehmigung der Allgäuer Zeitung